Zurück in die 80er: Feiert die Kassette gerade ein Comeback?
- Zilka Grogan
- 14 September 2016, Mittwoch
Weißt du noch: dieses uralte Ding, das wir Walkman nannten? Mithilfe dieses kleinen Zauberdings steckte so manches 80er-Jahre-Kind seine Musik einfach in die Hosentasche. Vor dem Weg in die Schule: Kassette rein, Drahtbügel-Kopfhörer aufgesetzt, losmarschieren. Verdrängt vom aufkommenden tragbaren CD-Spieler und später dem MP3-Player, verschwand der Walkman jedoch aus unserer aller Leben, bei vielen von uns noch vor der Pubertät - und mit ihm die Musikkassette.
Wie die meisten analogen Formate war auch die Kassette stets prädestiniert dafür, nochmal richtig zurückzukommen. In den letzten zwei Jahren, als in den Medien schon mehrfach die glorreiche Rückkehr der Musikkassette ausgerufen wurde, verspotteten viele Leute aus der Musikbranche das als einen weiteren albernen Hipster-Trend. Doch selbst wenn die Berichte über das sogenannte Comeback der Kassette ein wenig übertrieben sein sollten, gibt es nicht zu leugnende Anzeichen, dass es mit den Verkäufen wieder aufwärts geht.
Anfang des Jahres hat die National Audio Company, seines Zeichens der größte Hersteller von Audiokassetten in den USA, einen signifikanten Anstieg seiner Produktion seit 2014 vermelden können. Das Unternehmen hat letztes Jahr Kassetten im Wert von fünf Millionen US-Dollar abgesetzt, das entspricht einer Steigerung von 31 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dies kommt zu einer Zeit, in der Retro-Formate aller Art wieder stärker nachgefragt werden, nicht nur in der Musik, sondern auch in Bereichen wie in der Fotografie und dem Verlagswesen.
Der in Barcelona residierende Produzent und Labelbetreiber Nehuen Mac Allister ist einer der Musiker, die den Tape-Trend mitgenommen haben, als er im November 2014 mit seiner "Hidden Traxx" EP das erste Mal auf Kassette veröffentlicht hat. Er suchte nach einem physischen Produkt, das er zusammen mit seiner EP auf seinem Label Classicworks vertreiben konnte, welches er zusammen mit seinem Produzenten-Mitstreiter Cardopusher betreibt.
"Der Zuspruch war für unsere Verhältnisse echt cool. Die Dinger verkaufen sich, sogar besser als 12"s", so Nehuen. "Wir lassen eine sehr kleine Auflage von 50 Exemplaren pro Veröffentlichung anfertigen, weil wir festgestellt haben, dass manche Leute es lieben, neben dem digitalen Download ein physisches Objekt in den Händen zu halten. Die Vorzüge (der Kassette) sind für mich der haptische Aspekt einer Veröffentlichung, der Spaß, den wir daran haben, Farbe und Design der Kassetten auszuwählen, und dass wir die echten Freaks damit glücklich machen."
Was spricht eigentlich noch für Kassetten?
Den Nostalgiefaktor mal außer Acht gelassen, stehen Hörer, Musiksammler und Künstler gleichermaßen auf Tapes, weil das Medium kostengünstig ist und niedrigschwelligen Zugang ermöglicht. Die Betreiber von Labels wissen es zu schätzen, dass die Audiokassette im Vergleich zu Vinyl günstiger ist und auch nicht so viel Vorlauf in der Produktion benötigt. Aus diesem Grund findet man mittlerweile wieder über den ganzen Globus Labels, die sich auf Kassetten spezialisiert haben, beispielsweise Burger Records in Kalifornien, 1080p in Vancouver und Tesla Tapes in England.Paddy Shine, der Gründer von Tesla Tapes, rief das Label 2012 ins Leben, ursprünglich, um Nebenprojekte seiner Band Gnod, einer britischen Krautrockband aus Salford, UK, zu veröffentlichen. Doch bald begann er, Freunde und andere Künstler nach Musik dafür zu fragen. Bislang hat es Tesla Tapes auf bald 30 Veröffentlichungen gebracht, die meisten auf Kassette, aber auch auf Vinyl und manche gar auf CD (ein anderes Format, von dem Shine angibt, es mehr und mehr zu schätzen). Welche Vorteile sieht er in Tapes? Da seien zum einen die niedrigeren Kosten, zum anderen die vielen Möglichkeiten, etwas auf Kassetten zu veröffentlichen, was auf Vinylplatte so nicht ginge. C90-Tapes lassen längere und ambitioniertere Projekte zu und unterliegen nicht denselben Beschränkungen wie Schallplatten, weshalb die Notwendigkeit, sich in der Länge zu beschränken, hier wegfällt.
"Es ist günstig, es ist cool, und es ist eine schöne Art, Musik und Sounds zu hören", sagt Shine. "Jeder kann es tun, jeder ist willkommen, und alles ist erlaubt. Du kannst dich kreativ so richtig austoben - musikalisch wie auch visuell, also ist es ein schöner Zeitvertreib. Ich bin nicht sicher, wie viele Leute Kassetten veröffentlichen, um wirklich damit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, aber es ist eine Arbeit, die man mit viel Herzblut und Hingabe angeht."
Moment - es gibt sogar einen internationalen Tag dafür?
Inzwischen haben Kassetten sogar einen eigenen internationalen Tag, der ihnen gewidmet ist. 2012 erstmals ausgerufen, findet der Cassette Store Day dieses Jahr am 8. Oktober statt und wird im Vereinigten Königreich, den USA, in Deutschland, Frankreich sowie in Japan begangen. Im Prinzip ist das die Antwort der Kassettenliebhaber auf den Record Store Day, dem jährlichen Ehrentag der unabhängigen kleinen Plattenläden. Im Unterschied zu diesem, betont Mitgründerin Jen Long, liegt das Hauptaugenmerk des Cassette Store Day weniger auf den Händlern, sondern auf dem Format Kassette selbst. Die Pixies, die Ramones und Death Cab For Cutie finden sich unter den großen Namen, die für das diesjährige Event eigene Kassettenveröffentlichungen angekündigt haben.In manchen Teilen der Musikindustrie war die Kassettenkultur auch nie wirklich weg. Bestimmte Musikrichtungen wie etwa Punk, Experimental oder Ambient Music haben das Format stets hochgehalten. Vielleicht nicht genug, um schon das große Comeback der Kassette auszurufen: es gibt definitiv Anzeichen dafür, dass es dafür noch zu früh ist. Anfang des Jahres wurde berichtet, dass der Verband der Musikindustrie in Amerika (Recording Industry Association of America, RIAA) aufgrund gestiegener Verkaufszahlen wieder die Absätze von Kassetten aufzeichnen wolle. Die RIAA dementierte diese Berichte und stellte klar, dass die Verkäufe von Kassetten zu niedrig seien, um in den Verkaufsstatistiken eine Rolle zu spielen.
Also: Alles nur Hype? Es könnte natürlich der Fall sein, dass ein breiteres Publikum und die Medien gerade eine Szene wiederentdecken, die bislang Untergrund-Status hatte und vielleicht auch als ein wenig nerdig betrachtet wurde. Vielleicht wird das Wiedererstarken des Mediums Kassette durch nostalgische Gefühle gegenüber dem alten Relikt aus der eigenen Kindheit angefacht, vielleicht ist es auch ein weiteres Beispiel für die Gegenbewegung zur übermächtigen Digitalisierung unseres Alltags. So oder so, nach Meinung von Kreativen wie Paddy Shine oder Nehuen Mac Allister hat die gute alte Kassette das gleiche Überlebenspotenzial wie die Vinylplatte.
"Ich glaube, dass Leute, die schon lange dabei sind, auch dabei bleiben werden. Manche, die jetzt mit Tapes beginnen, werden sich vielleicht darauf einschießen, andere werden herumexperimentieren und sich dann vielleicht anderen Formaten widmen", so Nehuen. "Das Coole ist jedoch, dass in der Musikindustrie langsam immer mehr Leute bemerken, dass hier etwas passiert und dem etwas mehr Gewicht zubilligen."