Adi Kum, Baby Satan Records: Hindernisse, Chancen und Tipps zur Gründung eines eigenen Independent-Labels
Viele Künstler*innen müssen heute ein bisschen (oder viel) von allem machen, um von ihrer Musik leben zu können. Das gilt besonders, wenn es darum geht, ein eigenes Plattenlabel zu führen, wie das Beispiel der Berliner Künstlerin Adi Kum beweist.
Adi ist Musikerin, Konzertveranstalterin und Mitbegründerin des von Frauen geführten DIY-Plattenlabels Baby Satan Records, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Macht wieder in die Hände der Künstler*innen zu legen.
Adi weiß, was es braucht, um Künstler*innen zum Erfolg zu verhelfen und ein Label wachsen zu lassen, da sie ihre Finger bei allem im Spiel hat, von Konzertpromotion über Merch bis hin zu physischem/ digitalem Vertrieb und Musikvideoproduktion. Was es auch immer ist, Adi macht es. Darüber hinaus findet sie immer noch Zeit, Musik aufzunehmen, zu veröffentlichen und in ihren beiden Bands, Jealous und Dane Joe, aufzutreten.
Wir haben uns kürzlich mit Adi zusammengesetzt, um darüber zu sprechen, was es braucht, ein DIY-Plattenlabel zu betreiben, wie wichtig Playlisten sind und um einige Tipps zu bekommen, wie Künstler*innen ihre Musik in der modernen Musiklandschaft promoten können.
Baby Satan Records
By Alex Howard
Wie, wann und warum hast du das Label gegründet?
Das Label wurde 2017 gegründet. Es begann ziemlich zufällig, als ich mein eigenes Album veröffentlichte und oft gefragt wurde, ob ich ein Label habe, bei dem ich es rausbringe, also beschloss ich, den Namen eines erfundenen Labels darauf zu schreiben, halb als Scherz und halb um eine Bestätigung zu haben, die ich für nötig hielt. Schon bald fingen die Leute an, mich danach zu fragen, als ob es eine echte Sache wäre und ironischerweise wurde es dann auch echt. Ich habe in der Vergangenheit als Promoterin, Tontechnikerin und Bookerin gearbeitet, habe Shows gespielt und als DJ aufgelegt, also hatte ich einen gewissen Hintergrund in der Arbeit mit anderen Künstler*innen und so war es ein organischer Prozess, ein Label zu gründen.
„Die Hauptmotivation war zu sehen, dass wirklich talentierte Künstler*innen um mich herum mit den logistischen und praktischen Seiten des Musikerdaseins zu kämpfen hatten.“
Ich weiß, dass das nicht jedem in die Wiege gelegt ist. Manche Leute sind großartig im Kreieren, während andere besser im Promoten sind, aber ich denke, beim derzeitigen Zustand der Musikindustrie ist es wichtig zu verstehen, wie sie funktioniert. Also versuche ich, unsere Künstler*innen so viel wie möglich einzubinden, zumal einige von ihnen auch von Natur aus gut darin sind.
Machst du alles alleine oder hast du Mitarbeiter*innen /Freund*innen im Label?
Mein bester Freund Paz ist nach der ersten Veröffentlichung zu mir gestoßen und seitdem betreiben wir das Label gemeinsam. Paz ist großartig mit all den visuellen Aspekten und macht viele unserer Artworks und alle Veranstaltungsposter und Videos. Wir haben eine ähnliche Vision, wenn es um Musik oder fast alles andere geht, wir versuchen, die Vorstellung davon zu ignorieren, was Labels sein „sollen“.
Einer der ersten Schritte, den wir als Label unternommen haben, war zum Beispiel, eine YouTube-Playliste mit Dingen zu erstellen, die man sich ansehen sollte, wenn man bekifft ist, und eine Fantasieliste von Bands zu erstellen, die wir unter Vertrag nehmen würden. Wir teilen einen großen Mangel an Verständnis dafür, wie Kapitalismus funktioniert oder warum Veröffentlichungsnummern chronologisch sein müssen. Es gibt nur uns beide, aber seit unseren Anfängen hatten wir das Glück, einen Haufen großartiger Freunde, Labels und Veranstaltungsorte zu haben, mit denen wir zusammenarbeiten konnten.
Was war das erste Hindernis?
Bei unserem ersten offiziellen Treffen haben wir einfach eine Liste mit all unseren Ängsten und Bedenken gemacht und dann haben wir eine Liste mit Antworten für jede dieser Ängste erstellt. Ich glaube, wir hatten Angst davor, nicht ernst genommen zu werden, also hat es uns geholfen, uns selbst ernst zu nehmen, aber auch nicht ZU ernst.
Was ist euer schönstes Erlebnis mit dem Label oder mit euren Künstler*innen?
Letztes Jahr durften wir eine Bühne beim Synästhesie Festival kuratieren und hatten auch eine Reihe von Partys, die von Musicboard finanziert wurden. Es war großartig, unseren Bands größere Shows zu bieten und durch diese Events einen Haufen neuer Leute kennenzulernen. Außerdem lieben wir unsere Künstler*innen einfach sehr, wir kennen sie alle persönlich und sie sind alle hart arbeitende, kreative und nette Menschen.
Promo-Tipps
Wie lasst ihr Vinyl oder CDs pressen?
Es ist 2021, also machen wir natürlich hauptsächlich Kassetten! Wir haben unsere eigenen Maschinen, also ist es sehr DIY, aber wenn unsere Künstler*innen ihre Veröffentlichung auf CD oder Vinyl haben möchte, haben wir ein paar Kontakte und wir helfen ihnen dabei.
Wie managt ihr Medien/ Presse/ Radio für eure Künstler*innen?
Wir haben keinerlei professionelle Erfahrung damit, aber wir versuchen einfach, es nach und nach zu lernen.
Ich mache unsere Pressemitteilungen und schicke sie an eine Mailingliste, die wir haben und wir bombardieren unsere sozialen Medien mit unzusammenhängenden, aber hoffentlich unterhaltsamen Inhalten. Einige unserer Künstler*innen sind ziemlich gut darin, selbst PR zu machen und dabei zu helfen und manchmal werden wir von Medienleuten angesprochen, die an unseren Künstler*innen oder Veranstaltungen interessiert sind.
Digitaler Musikvertrieb
Kannst du uns mehr über den digitalen Vertrieb für Künstler*innen auf Baby Satan erzählen?
Seit unserer ersten Veröffentlichung (und lange bevor ich anfing, für iMusician zu arbeiten!) haben wir immer digital über iMusician veröffentlicht. Die digitale Musikwelt entwickelt sich ständig weiter und es gibt viel zu lernen, angefangen bei der Erstellung von Künstlerprofilen oder wie man Songs in Playlisten einreichen kann und ich bin super gespannt darauf, mehr zu erfahren, um das Wissen an unsere Künstler*innen weiterzugeben.
Generell denke ich, dass Künstler*innen oft einfach nur kreieren wollen und diese Angst oder einfach eine Abneigung vor allem haben, was mit Vertrieb oder PR zu tun hat, aber alle Plattformen sind im Moment so zugänglich gemacht, dass ich denke, dass jede*r Künstler*in in der Lage ist, zu lernen, wie es funktioniert.
Sind Playlisten wichtig für dich?
Ich bin besessen davon, Playlisten zu erstellen und zu hören und ich lasse mir oft vom Spotify-Algorithmus zeigen, was er denkt, was mir gefallen würde. Das ist in vielerlei Hinsicht beunruhigend, aber ich genieße es auch sehr. Was das Erscheinen in den großen Playlisten angeht: es könnte tatsächlich eine der besten und kostenlosen Möglichkeiten sein, sich zu präsentieren, die es derzeit gibt.
Wo hörst du dir Künstler*innen an (Bandcamp, YouTube, Spotify...)?
Ich mag das Layout von Bandcamp und es ist der beste Art, um kleinere Bands zu unterstützen, weil man ihre Musik direkt kaufen kann. Aber den Rest der Zeit höre ich Spotify und tausche gerne Playlisten mit anderen Leuten aus. Ich höre auch eine Menge Podcasts. Im Moment stehe ich auf „Slow Burn“, das ist ein toller Podcast über Watergate und ich höre oft die Playlist „Light In The Attic“, die meiner Meinung nach eine der größten Plattenfirmen aller Zeiten ist. Manchmal schaue ich YouTube, weil ich Musikvideos liebe.
Was sind die Top 3 Veröffentlichungen, die du Leuten, die Baby Satan noch nicht kennen, empfehlen würdest, als erstes anzuhören?
Ich würde wahrscheinlich einfach empfehlen, mit einer unserer 3 eklektischen Compilations anzufangen und von dort aus weiterzumachen, oder eine meiner persönlichen Favoriten „Avishag Cohen Rodrigues- One Winter, One Hunter“, der ein super talentierter Freund ist, der in New York lebt.
Welche Tipps hast du für Künstler*innen, die auf der Suche nach einem Plattenlabel sind?
Ich würde vorschlagen, ein Label mit ähnlichen Künstlern zu finden (sowohl musikalisch als auch in einem ähnlichen Stadium ihrer Karriere), ihnen ein Release nach der Mixing/ Mastering-Phase zu schicken, eine persönliche E-Mail zu schreiben (keine DM bei Instagram! haha) und das Wichtigste ist, es nicht persönlich zu nehmen, wenn es nicht passt oder niemand antwortet. Du könntest stattdessen auch einfach dein eigenes Label gründen!
Vom Budget bis zur Rechtsberatung: Schritt für Schritt zur Labelgründung
„Die Entwicklung von Plattenlabels und die Veränderungen im Musikkonsum zu recherchieren, wäre ein guter Anfang, wenn du dein eigenes Label gründen willst, damit du besser verstehst, welche Optionen dir zur Verfügung stehen, was du anbieten kannst und um zu visualisieren, was als nächstes kommen könnte. Finde ein paar Künstler, an die du wirklich glaubst (oder dein eigenes Projekt), habe eine solide Vorstellung davon, was der Vibe ist und gehe einen Schritt nach dem anderen.“
Wie habt ihr das Label gegründet (auf administrative Art und Weise)? Ist es ein Verein? Wenn es eine Firma ist, welchen rechtlichen Status habt ihr gewählt und warum?
Um ehrlich zu sein, haben wir uns nie als legales Unternehmen registriert, weil wir nie wirklich Geld verdient haben. Wir investierten das, was wir von den Tapes verkauften, zurück in die Herstellung weiterer Tapes, Aufkleber oder die Teilnahme an Labelmärkten, die in unserem ersten Jahr großartig waren, um bekannter zu werden.
Habt ihr mit dem physischen (Kassetten) oder digitalen Vertrieb angefangen?
Die erste Veröffentlichung wurde auf Vinyl gepresst (nur 30 Exemplare) von einer kleinen Firma von Freunden, die sie nach und nach herstellten. Es hat Spaß gemacht, sie herstellen zu lassen, aber es war natürlich in keiner Weise wirtschaftlich. Es war auch die erste digitale Veröffentlichung, die wir gemacht haben.
Warum habt ihr euch für iMusician entschieden und wie hat es euch geholfen?
Ich habe ein paar nette Leute getroffen, die für iMusican arbeiten. Sie kannten das Label und erzählten mir von den Vertriebsmöglichkeiten bei iMusician. Als wir gerade angefangen hatten, fragten wir uns, wie wir vertrieben werden könnten, denn es schien, als müssten wir ein solides Label sein, um mit einer Vertriebsfirma zu arbeiten. Die Veröffentlichung über iMusician war also viel einfacher, als ich erwartet hatte.
Neben der Zugänglichkeit waren die Tutorials, wie man ein Künstlerprofil erstellt oder wie man Songs in Playlisten einreicht, eines meiner Lieblingsdinge.
Wie habt ihr das Label finanziert? Welchen Rat würdet ihr jemandem geben, der sein eigenes Label gründen möchte? (Crowdfunding, eigenes Geld investieren, Investoren, ohne Geld anfangen...)
Wir sind super DIY, also haben wir immer alles, was wir konnten, aus unseren eigenen Taschen investiert. Manchmal gingen sogar die Einnahmen aus unserer Band direkt an das Label. Zum Glück passt der Lo-Fi-Look für uns wirklich zum allgemeinen Vibe, also ist es halb gewollt und halb aus den Umständen heraus.
Für unsere Veranstaltungen haben wir etwas Unterstützung vom Musicboard Berlin bekommen.
Welche Art von Verträgen schließt ihr mit euren Künstler*innen ab und warum?
Das, was einem Vertrag am nächsten kam, war, als wir eine Band (Palm Squirrel) nach ihrem Gig ansprachen und sie fragten, ob sie auf dem Label sein wollen. Sie sagten ja und wir leckten alle unsere Handflächen und besiegelten es mit einem Handschlag, aber das war vor COVID!
Wir haben nicht wirklich Verträge. Die Künstler*innen besitzen die Rechte an ihrer Musik und sie zahlen auch für ihre eigenen physischen Exemplare. Wir zahlen in der Regel für die Anzahl der Kopien, die wir zum Verkauf/ Verschenken und für den digitalen Vertrieb dabei haben wollen. Einige unserer Veröffentlichungen wurden auch mit anderen Labels geteilt. Wir sind ziemlich offen und flexibel für alles, was zu den Künstler*innen passt.
Habt ihr Hilfe bei den rechtlichen/ geschäftlichen Dingen bekommen oder habt ihr es selbst gelernt?
Nicht wirklich, wir haben nur einige andere Labelbetreiber um Rat gefragt, uns einige Podcasts angehört und Interviews von Labels gelesen, die wir mochten. Ich denke, wir haben uns schon früh damit abgefunden, dass es definitiv keine Einnahmequelle sein wird. Aber das ist auch der Grund, warum wir Veranstaltungen machen und T-Shirts herstellen, es gleicht sich aus.
10 Schritte zur Gründung deines eigenen Plattenlabels
Entwickle eine Idee: Name, Look, Vibe
Mach dir eine imaginäre Liste mit allen Bands (tot oder lebendig), die du unter Vertrag nehmen würdest, wenn du die Möglichkeit dazu hättest. Es hilft, sich vorzustellen, wonach du suchst.
Kontaktiere ein paar Künstler*innen in deiner Umgebung, die sich ihrer Arbeit verschrieben haben und die deine Vision für das Label repräsentieren, und kläre mit ihnen, welche deiner Fähigkeiten für sie von Nutzen sein könnten.
Soziale Medien: Wie die meisten Menschen habe ich eine Hass-Liebe-Hass-Beziehung zu diesen Plattformen, aber wenn man sie klug und zynisch einsetzt, können sie super hilfreich und unterhaltsam sein. Wir persönlich posten gerne Inhalte, die trashig/ albern/ blutig/ romantisch sind, weil das zu unserer Musik passt.
Events sind eine riesige Promotionmöglichkeit für ein Label. Während der Pandemiezeit ist es natürlich komplizierter oder unmöglich, aber überlege dir kreative Wege, deinen Geschmack auszudrücken, wie z.B. DJ-Sets von Künstler*innen zu veröffentlichen, Live-Streams zu veranstalten oder Playlisten von Künstler*innen zu erstellen.
Tu, was immer du kannst, je nach deinem Budget und deiner Freizeit, aber fange nur an, wenn du wirklich engagiert bist.
Die Musikindustrie verändert sich ständig, daher hilft es, sich von der Vorstellung zu befreien, „was man normalerweise macht“ oder „wie es normalerweise ist“.
Mach dir einen Zeitplan für deine ersten Veröffentlichungen und plane, wann und wie du sie vorher und nachher promotest.
Es soll Spaß machen (:
All pictures in this article are by: Alex Howard, Diego Delgado, Monique Woolen-Lewis, Paz Bonfil and Adi Kum