Die Bedeutung von Ästhetik bei der Musikproduktion
- iMusician
- 24 November 2016, Donnerstag
Heute werde ich etwas über das Thema Ästhetik schreiben, also einige Aspekte beleuchten, die damit zusammenhängen. Zu Begin ein paar lose Begriffe, um den Kreis enger zu ziehen: Schönheit, Symmetrie, Eleganz, Wahrheit, Wertschätzung, Geschmack. Es gibt dazu ein paar Definitionen, zum Beispiel "...eine Reihe von Prinzipien, die der Arbeit eines bestimmten Künstlers oder einer künstlerischen Bewegung zugrunde liegen."
Im Bereich der Musik gibt es verschiedene Genres wie etwa Pop, Jazz, elektronische Musik etc. Es gibt unzählige Sub-Genres mit teils grotesken Bezeichnungen. Jedes dieser ist mehr oder weniger klar definiert im Hinblick auf die verwendeten Sounds bzw. Instrumente, Tempo, Rhythmus, verwendete Harmonien usw. Elektrische Gitarre, einfacher 4/4 Rhythmus mit Bass Drum auf 1 und 3 und Snare dazwischen, mittleres Tempo und Texte in denen es um Liebe, Alkohol und Motorräder geht sind zum Beispiel ein Teil der "Reihe von Prinzipien" die Rock´n´Roll definieren.
In kleinerem Maßstab können gewisse Prinzipien einem Track seinen besonderen Charakter verleihen. Ich weiß nicht genau, ob es Schätzungen darüber gibt, wie viele Tracks elektronischer Tanzmusik der Öffentlichkeit zugänglich sind. Wie viele dieser Tracks sind nun aber echte Hits, und warum sind diese Tracks Hits? Wer diese Frage genau beantworten kann und darüber hinaus elektronisches Produktionsequipment zu bedienen weiß, kann eine Menge Geld verdienen.
Die Menge
Ein sehr wichtiger Punkt ist Einfachheit, in dem Sinne, das Dinge absolut auf den Punkt gebracht werden. In Sachen Instrumentierung hat es jede klassische Rockband wunderschön leicht. Sie hat je EINEN Schlagzeuger, Bassisten, Gitarristen und Sänger. Man kann diese Band auf einer 4-Spur-Bandmaschine aufnehmen und muss sich ab da über den grundlegenden Klang keine Sorgen mehr machen - vorausgesetzt die Musiker beherrschen ihre Instrumente.
So praktisch die "neue Spur"-Funktion einer DAW auch sein mag, kann sie sich ebenso als Fluch herausstellen, wenn man es nicht schafft, das richtige Material auf diese neuen Spuren zu bringen. Manchmal hat man gleichzeitig 5 Spuren namens "Bassline", und jede davon trägt irgendwie zum unteren Frequenzspektrum der Produktion bei - nur ist man noch nicht zufrieden. Was nun? Ganz klar: Neue Spur aufmachen und das Problem beheben - einfach hinzufügen, was noch gefehlt hat. Nach einer Weile speichert man das Ganze entweder ab und macht es nie wieder auf, oder der Schaffensdrang weicht einer Abstumpfung nach zu langem Hören ein und des selben Loops...
Das Problem hier ist, dass die Bassline nicht definiert ist - wohl auch nie war. Die Lösung ist EINEN Sound zu finden, der EINE Line spielt, die alles aussagt, was zu sagen ist. Das ist gar nicht so einfach. Der erste Schritt ist jedoch, alle halbherzigen Spuren zu selektieren und diese dann von ganzem Herzen zu löschen.
Der Punkt
Manchmal enthält die Produktion alle notwendigen Elemente: Drums, Bass, ein bisschen Pad, etwas Glitch, eine Prise hiervon und einen Schuss davon, es hat einen tollen Groove und der Loop ist gefällig. Aber irgendwie klingt es immer nach Begleitmusik und man wartet auf die eine Sache, die noch fehlt: Das Statement!
Mir persönlich fällt es eher schwer, etwas kurz zusammenzufassen, was vorher stundenlang zerredet wurde. Egal was ich sage, es würde schon irgendwie passen. Aber was genau sage ich denn jetzt? Was ist mein Punkt?
Meine Lösung dafür ist, mit der musikalischen Aussage zu beginnen und den Rest drum herum zu bauen. Je mehr ich zu Beginn einer Produktion festlege, desto leichter fällt mir die Suche nach den richtigen Elementen und das Treffen von Entscheidungen überhaupt.
Der Zeitpunkt
Timing ist das wohl substanziell Wichtigste in der Musik, und damit meine ich nicht tightes rhythmisches Spiel, sondern den richtigen Zeitpunkt für ein größeres Ereignis zu finden. Wenn man seinen Kumpels einen Witz erzählen will, in der Runde aber gerade etwas ganz Anderes sogar Ernstes geredet wird, dann hätte man diesen Witz auch in den Kühlschrank sprechen können. Falscher Zeitpunkt.
In fast jeder Art von Musik finden sich Unterbrechungen oder zeitweilige Veränderungen. Besonders in elektronischer Musik werden diese als "Break" bezeichnet. Der Sinn eines Breaks ist der Aufbau von Spannung. Nach einer Weile endet ein Break für gewöhnlich und der Beat beginnt erneut. Normale Breaks dauern 4, 8 oder 16 Takte. Es ist mir jedoch zuweilen passiert, dass das Break für mein Empfinden zu kurz war, um beispielsweise einen Reverb ausklingen zu lassen. Ich probierte, die Decay-Time zu reduzieren, aber dann ging mir das irgendwie zu schnell. 4 Takte hinten anzufügen waren viel zu viel, 2 oder einer ebenso. Letztlich verlängerte ich das Break nur um eine Viertel, und das fühlte sich dann richtig an. Es erscheint zunächst etwas sonderbar: ein Taktartwechsel in Tanzmusik, vor allem wenn man an den DJ denkt, der sich damit rumschlagen muss. Aber wenn das Break diese Viertel gebraucht hat, um perfekt zu funktionieren, dann ist gute Arbeit getan - und von einem guten DJ kann man das gleiche erwarten.
Kontrast
Der Aufbau von Spannung wird immer durch kontrastierende Elemente erzeugt. Die offensichtlichste Veränderung in einem Break in elektronischer Musik ist der Wegfall der sonst allgegenwärtigen Bassdrum. Kontrastierend ist jedoch alles, was im Extremfall das Gegenteil zu etwas Anderem darstellt. Bei einem Break werden zwei Gegensätze zeitlich aneinandergereiht.
Zwei Gegensätze können jedoch auch zeitgleich vorkommen. Aphex Twin kombiniert oft schnelle, knallharte Beats mit ruhigen, super-weichen Pads. Warmer Analogsynth-Sound in Verbindung mit C64-Chiptune Geschnipsel ist auch ein sehr reizvolles "Ohrenproblem".
Generell finde ich, dass zu wenig Wert auf leise, zerbrechliche Substanz gelegt wird. Alles muss laut sein und evtl. noch etwas lauter. Dynamische Feinheiten und überhaupt Kleinteiligkeit machen für mich Musik interessant - zum Hören. Ja, wozu sonst. Auf dem Dancefloor geht es mir leider hin und wieder auf den Keks, dass die Musik nach Brot mit Kartoffel klingt - macht zwar satt, ist aber keine Delikatesse. Feine Nuancen machen feines Essen aus...
Das Ziel
Es gibt so viele Möglichkeiten und Klangquellen heutzutage, so dass es immer wichtiger wird, dort eine gute Wahl zu treffen. Es geht dabei nicht um gute oder schlechte Sounds, auch nicht darum, den Geschmack der Zeit zu treffen. Wenn man etwas zu sagen hat, dieses genau auf den Punkt bringt und dabei klar und unterhaltsam ist, wird die Produktion Identität und Originalität besitzen. Die verwendeten Sounds sind dabei nur Mittel zum Zweck - nicht mehr, aber auch nicht weniger!
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