von Rhian Jones
Schon mal was von X Factor gehört? Wie steht es mit The Voice, DSDS, Popstars oder Das Supertalent? Wahrscheinlich schon. Casting-Shows im Fernsehen wucherten im vergangenen Jahrzehnt geradezu. Teilnehmer erhalten die Chance auf den großen Durchbruch, so wird es uns zumindest verkauft: Erfülle dir den Traum vom Vollzeit-Musiker und die Nation liegt dir zu Füßen. Blumenkränze werden deinen Weg und Unterwäsche deine Bühne säumen. Tourbus, ein völlig übertriebener Rider, Awardshows, Tänzer, Backgroung-Sänger und Platinplatten sind in greifbarer Nähe. Du wirst in Reichtümern baden, Hotelzimmer verwüsten und die Welt bereisen.
Dein Durchschnittstag besteht aus Rumhängen, einer Studiosession mit Guy Chambers und dem anschließenden Unsichermachen des Londoner, Berliner oder New Yorker Nachtlebens. Klingt gut, oder? Mag sein, doch dass eine Casting-Show dich über Nacht vom herumkrebsenden Musiker zum Superstar macht, ist eher unwahrscheinlich. Willst du die Wahrheit über Talentshows im TV wissen? Lies im Folgenden, was diejenigen zu sagen haben, die schon einmal mittendrin waren.
Labrinth: „X Factor ist nur eine Plattfrom“
Labrinth ist ein Singer/Songwriter aus London, dem der Durchbruch mit „kommerzieller, cooler urbaner Musik“ gelang, nachdem er für Tinie Tempah die Nummer-eins- bzw. Nummer-zwei-Hits „Pass Out“ sowie „Frisky“ geschrieben hatte. Labrinth hat zwar selbst nie an einer Casting-Show teilgenommen, ist jedoch beim Sony-Label Syco unter Vertrag, das auch zahlreiche ehemalige X-Factor-Teilnehmer beheimatet, darunter Ella Henderson, Little Mix und One Direction. Wer wirklich „Superstar“ werden wolle, für den könne der Weg über eine Casting-Show durchaus der richtige sein, erklärt er. Wem es dagegen um Langlebigkeit gehe, der müsse zunächst das Fundament legen, also Gigs spielen, sein Handwerk meistern und sich eine Fanbase aufbauen.Er fährt fort: „Manchmal nehmen Leute mit einer naiven Einstellung an der Show teil, ohne zu wissen, dass sie auch arbeiten müssen. Nichts passiert über Nacht. Du musst erst einmal die miesen Gigs spielen. Du musst zunächst einmal in Bars vor zwei Menschen auftreten und vor Nervosität sterben, bevor du hocherhobenen Hauptes eine Stadionbühne betreten und den Menschen verklickern kannst, dass du es wert bist.“
„Für mich sind Syco und X Factor Plattformen, um das nächste Level zu erreichen, so wie auch YouTube eine Plattform ist. Die Menschen, denen ein schneller Durchbruch auf YouTube gelingt, wissen oft nicht, wie man sich in diesem Business professionell verhält. Es ist ein Trampolin, um die nächsthöhere Stufe zu erreichen, mehr nicht. Du musst deine Hausaufgaben machen und so viel wie möglich lernen, denn ein echter Profi weiß, wie er seine Position dauerhaft hält. Wer nicht bescheid weiß, verschwindet in kürzester Zeit wieder von der Bildfläche.“
Ella Henderson: „Sei dir deiner Selbst bewusst“
Ella Henderson ist eine der wenigen Künstlerinnen, die nach ihrer Teilnahme an X Factor 2012 tatsächlich die Gelegenheit erhielt, sich zu entwickeln. Obwohl sie als Sechsplatzierte ausschied, erhielt sie eine Menge Anfragen von Labels. Henderson unterschrieb bei Syco und durfte sich zwei Jahre lang aus dem Rampenlicht zurückziehen, um an ihrem Debütalbum zu arbeiten, das im Oktober 2014 veröffentlicht wurde. Viele andere Künstler, die aus der Show hervorgehen, veröffentlichen im selben Atemzug ein Album, bevor sie wieder auf ewig Vergessenheit geraten. Was hat Henderson anders gemacht?„Als ich die Show verließ, wurde ich von Record Labels hofiert. Ich setzte mich mit ihnen an den Tisch und sagte: ,Die eine Sache, die ich verlange, ist Zeit. Ich möchte keinen vorgegebenen Zeitrahmen, keinen Druck verspüren. Ich will mit meiner Musik wachsen.’ Ich war 16 Jahre alt, wollte die Industrie besser verstehen und die Richtung der großen Entscheidungen, die ich treffen musste, selbst lenken. Ich möchte nicht, dass andere diese Entscheidungen für mich fällen. Man hört so viele Geschichten von Leuten, die sich gefangen fühlen, die das Gefühl haben, sie könnten nicht selbst entscheiden. Genau das wollte ich vermeiden, sowohl was meine Musik, meinen Look oder die Gestaltung meiner Videos angeht.“
„In der Musikindustrie haben viele von uns das Gefühl, die Kontrolle über uns selbst zu verlieren. In musikalischer Hinsicht musste ich erst herausfinden welche Art von Künstlerin ich sein will, welche Art von Musik ich machen möchte und was ich der Welt mitzuteilen habe. Ich schreibe über Lebenserfahrungen und ich dachte mir: ,Dieses Album wird mein Tagebuch für die Welt. Und ich möchte Dinge auf eine Art und Weise sagen, wie sie noch niemals zuvor gesagt worden sind.“
Will Young: „Das Ziel ist nicht ein Haus in den Bahamas“
Als Pop Idol, das britische Äquivalent zu DSDS, erstmals 2001 in Großbritannien ausgestrahlt wurde, lieferten sich Will Young und Herzensbrecher Gareth Gates ein Kopf an Kopf-Rennen, das Young für sich entschied. Seither hat der Sänger fünf Alben veröffentlicht und steht kurz vor dem sechsten, seinem ersten bei Island Records. Er gilt schon längst nicht mehr als Newcomer, was unter anderem an seinen öffentlich ausgetragenen Entwicklungsphasen liegt. Young hat es geschafft, langfristig erfolgreich zu sein, weil er nie vergessen hat, weshalb er mit dem Musikmachen angefangen hat.„Das Ziel ist nicht ein Haus in den Bahamas. Wenn ich für mein nächstes Album nochmals unter Vertrag genommen werde, bin ich glücklich. Ich brauche kein weiteres Nummer-eins-Album, einen Ferrari oder immer mehr und mehr und mehr. Ich habe genug und bin sehr zufrieden solange ich Musik machen kann und alles, was damit zusammenhängt. Ich habe nicht an Pop Idol teilgenommen, um berühmt zu werden, ich wollte stets nur ein Sänger und Songwriter werden.“
Dass Casting-Shows eine Plattform sein können, um Aufmerksamkeit zu erzielen und den Startschuss für eine Musikerkarriere zu setzen, ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn du dir jedoch nicht sicher bist, welche Art von Künstler du sein willst, oder nicht weißt, warum du überhaupt mit der Musik angefangen hast, kann die Reise schnell auf dem Kerichthaufen gescheiterter Musiker enden. Wenn du dich dazu entscheidest, dich in der langen Schlange von Bewerbern einzureihen, sei dir darüber im Klaren, was du werden möchtest und verändere dich nicht aus den falschen Gründen.
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