Die Art und Weise, wie Musiker*innen ihre Platten auf den Markt bringen, hat sich in den letzten Jahren bedeutend verändert. In der Vergangenheit war es üblich, ein Album mit einer Single anzuteasen, gefolgt von einer weiteren Single parallel zur Albumveröffentlichung – um dann ein Jahr oder sogar noch mehr zu warten, bevor man wieder etwas Neues herausbringt. Heutzutage läuft das deutlich anders: Künstler*innen veröffentlichen so oft wie möglich – einerseits, um bei den Hörer*innen präsent zu bleiben, deren Aufmerksamkeitsspanne heute bereits mehr als am Limit ist; andererseits ist diese Strategie auch die direkte Antwort auf den Erfolg von Spotify und der daraus resultierenden Playlist-Kultur.
In diesem Artikel schauen wir uns genauer an, wie sich die Musikindustrie verändert hat und stellen drei bewährte Release-Strategien vor, die unsere Artist & Label Relations Manager aus eigener Erfahrung empfehlen, um heute erfolgreich Musik auf den Markt zu bringen.
Auf die alte, langsamere Art
Für den Großteil des 20. Jahrhunderts wurde der Veröffentlichungszyklus durch zeitliche Limitierungen bestimmt. Alles war analog und es brauchte Zeit, um ein Album aufzunehmen, zu mischen und zu mastern. Es brauchte Zeit, um Vinyl, Kassetten oder CDs zu pressen. Und es brauchte Zeit, das Album-Artwork zu drucken – ganz zu schweigen von der benötigten Zeit, um die fertigen physischen Tonträger auszuliefern. Diese Einschränkungen machten es quasi unmöglich, irgendetwas schneller umzusetzen.
Im neuen, digitalen Zeitalter, wurden diese zeitlichen Beschränkungen so gut wie aufgehoben. Musik wird vollständig digital, „in the box“ aufgenommen, gemischt und gemastert. Es bedarf keiner Zeit mehr fürs Pressen, Drucken und Verschicken, weil Tonträger kaum noch hergestellt werden. Gleichzeitig hat der Nutzer übers Internet sofortigen Zugriff auf Millionen von Songs, die um die begrenzte Aufmerksamkeit konkurrieren, täglich und rund um die Uhr.
Wie man sich vom Grundrauschen abheben kann?
Die längste Zeit waren Alben ein künstlerisches Unterfangen, mit dem Musiker ihren Standpunkt ausdrückten, ihre Sichtweise dargelegten oder schlicht ihr Meisterwerk teilten. Für Labels auf der anderen Seite, war ein Album eine wichtige Einnahmequelle; mehr Songs auf einer Platte bedeutete einen höheren Preis für den Tonträger. Aber wie kann man sich heute, wo tagtäglich Unmengen von Content erstellt und hochgeladen werden, noch als Musiker vom konstanten Grundrauschen abheben?
Robbie Snow, SVP of Global Marketing bei Hollywood Records fast die Lage in einem aktuellen Artikel im Rolling Stone folgendermaßen zusammen: „Früher war es so, dass die Künstler sich zwischen den einzelnen Alben rar machten, von der Bildfläche verschwanden, um dann mit großem Tamtam zurückzukommen. Heutzutage versuchen wir hingegen, die Künstlerkarriere im Fluss zu halten, sodass Künstler so gut wie gar nicht mehr von der Bildfläche verschwinden. Fans wollen eine konstante Bindung zu ihren Lieblingsmusikern.“
Vor ein paar Jahren gingen Major-Labels dazu über, mehrere Alben pro Jahr von einem Künstler zu veröffentlichen. Jedes Album bedeutete einen neuen Anlass für öffentliches Interesse – und damit mehr Einkommen. 2015 fiel dem Guardian diese neue Strategie auf: Als Beispiel für diesen neuen Ansatz führten sie Drakes Semi-Mixtape-Alben “If You’re Reading This It’s Too Late” und “What a Time to Be Alive” an.
Dabei hatten die Autoren jedoch eine bedeutende Veränderung der Hörgewohnheiten gar nicht beachtet: Die Fans von heute kaufen keine Alben mehr, sie streamen Tracks.
Das Album-Paradigma überdenken
Teil der künstlerischen Arbeit ist auch - zu einem gewissen Grad - das eigene Publikum zu verstehen. Wer sind meine Fans? Wo finde ich sie? Und wie nehmen sie meine Arbeit wahr?
Wenn wir über diese new economy nachdenken, müssen wir uns die Frage stellen: Was verraten uns die veränderten Hörgewohnheiten unserer Fans darüber, wie sie das traditionelle Album-Format verstehen?
Die Antworten findet man in allerlei Internetforen und Blog-Posts, die teilweise auch schon bald vor einem Jahrzehnt verfasst worden sind. Tatsächlich bringt es Barry Donegan, Sänger der in Nashville ansässigen Post-Hardcore Band Look What I Did in diesem Blogartikel von 2010 ziemlich auf den Punkt:
„Ich glaube, dass Alben lediglich als Compilations eines bestimmten Zeitraums der Bandgeschichte betrachtet werden sollten, die Platten-Sammlern zum Kauf angeboten werden. Anstatt zu versuchen, mittels Online-Inhalten Alben zu verkaufen, sollten sich Bands meiner Meinung nach als ständige Content-Anbieter begreifen, und ihren Output in gewissen Abständen auf physischen Tonträgern herausbringen. Dies als Dienst an diejenigen Fans, die gerne Platten, Kassetten, CDs oder andere haptische Gegenstände besitzen. Lasst uns den Tatsachen ins Auge sehen – diese Formate sprechen Sammler an, aber nicht mehr den durchschnittlichen Konsumenten.“
Auch wenn das Album für den Künstler selbst immer noch dieselbe Wichtigkeit besitzt; den Wert des Albums zu überdenken, ist eine notwendige Bedingung, um zu verstehen, wie man als Musiker in der Musikwelt von heute noch Geld verdienen kann.
Hier kommt Spotify ins Spiel
2006, also lange bevor Donegan seine einleuchtende Sicht über die Situation der Musikindustrie teilte, arbeitete ein junges Startup aus Schweden bereits an den Grundlagen der Plattform, welche die Konsumgewohnheiten von Musik reflektieren und verändern sollte. Mit ihrem disruptiven Ansatz stellten sie nicht die Künstler oder das Album in den Mittelpunkt, sondern bauten ihre Plattform um die Playlist herum auf; jenem modernen Mixtape, auf dem der Nutzer aus einer fast unbegrenzten Auswahl von Songs eine individuelle Zusammenstellung hören kann, von Algorithmen zusammengestellt nach Genre, Stimmung oder Aktivität. Und sehr zum Leidwesen der albumfixierten Plattenfirmen waren Tracks die Bausteine dieses neuen Modells.
Diese auf Tracks und Playlisten beruhende Denkweise durchzieht jedes Element des Geschäftsmodells von Spotify: Auch wie Musiker entlohnt werden und wie Tracks promotet werden. Und es bedeutet auch, dass jeden Monat mehr neue Musik hochgeladen wird, als man sich in einem gesamten Menschenleben anhören könnte. Auf den ersten Blick scheint es für Musiker da schwieriger zu sein, herauszustechen. Doch da Spotifys Playlisten passgenau auf die Hörgewohnheiten und –vorlieben der Nutzer abzielen, verschafft es Musikern auch mehr Chancen, gehört und entdeckt zu werden, beziehungsweise sich in einer Spotify Playlist wiederzufinden. Sie erhalten einen direkten Zugang zu potenziell Millionen von Fans, die nur darauf warten, neue Musik zu entdecken und abzuspielen.
Hier ist jedoch der Haken: Pro Release kann nur ein Track den Spotify-Redakteuren vorgeschlagen werden. Das heißt, ganz gleich, ob du ein Album mit 9 Songs oder nur ein Stück als Single herausbringst, du bekommst pro Veröffentlichung nur eine Chance zu überzeugen. Das – zusammen mit der Art und Weise, wie Fans eben mittlerweile Musik konsumieren – führt dazu, dass viele Musiker erst einmal Singles herausbringen, um eine Fanbase aufzubauen, bevor sie das ganze Album oder die EP veröffentlichen. Das soll nicht heißen, dass der künstlerische Wert des Albums nicht mehr existent wäre. Lediglich die Art, wie es auf den Markt gebracht wird, hat sich geändert. Anstatt das gesamte Album auf einen Schlag herauszubringen, erscheint es scheibchenweise. Damit wird das Album eine Zusammenstellung von bereits veröffentlichten Tracks, ganz in der Art, wie sie Donegan schon 2010 angeregt hatte.
3 erfolgreiche Release-Strategien für Musiker*innen
Die neue, enorme Bedeutung von Playlisten heißt für DIY-Musiker und Indie-Labels, dass sie neue Release-Strategien ausprobieren sollten, um im veränderten Markt relevant und profitabel zu bleiben. Um euch dabei zu helfen, haben wir uns mit unseren Artist and Label Managern zusammengesetzt, um zu erfahren, wie sie einen modernen Release-Kalender planen. Das Resultat sind drei erprobte Strategien, um aus jedem Release die größtmögliche Sichtbarkeit, Durchschlagskraft und Profitabilität herauszuholen.
EP Booster
„Zwei Singles plus eine EP herauszubringen, ist mittlerweile einer der Standards in der Musikbranche”, erklärt Susann Weinelt, Manager für Nordamerika, Australien und deutschsprachige Länder. „Das bedeutet für dich als Künstler gleich drei Möglichkeiten, deine Songs bei den Medien und Playlisten zu pitchen. Zudem bedeutet es auch, dass du dich wirklich auf einzelne Songs konzentrieren kannst, die wirklich das Potenzial zu einem Hit haben. Ich nenne das den EP Booster.“
Obwohl sich die digitale Welt in Lichtgeschwindigkeit bewegt, benötigt der Print-Zyklus immer noch lange Vorlaufzeiten. Tatsächlich beträgt diese bei Magazinen in der Regel drei Monate. Das heißt, dass du bei größeren Releases – also EPs und Alben – drei Monate vor Veröffentlichung die Redaktionen bemustern solltest. Auch hier sind für dich drei Chancen drin, deine Musik zu platzieren. Im ersten Monat schickst du EP, Artwork und Presseinfo an Print-Publikationen. Gleichzeitig veröffentlichst du die erste Single. Im zweiten Monat fasst du nochmal bei den Redaktionen nach und fügst dabei alle Playlisten und Presseechos, die du für die erste Single bekommen hast, hinzu. Im dritten Monat bringst dann die ganze EP heraus und sicherst dir damit hoffentlich den Platz auf dem Thron.
Playlist Promoter
Wie bereits erwähnt gilt es: Je öfter du etwas auf Spotify veröffentlichst, desto mehr Chancen hast du, zu glänzen. Musikern, die noch nicht soweit sind, ein Album oder eine EP zu veröffentlichen, empfehlen wir, eine Single pro Monat zu veröffentlichen, nicht in Vergessenheit zu geraten. Das gibt dir die Chance, deine Kunst zu verfeinern, um herauszufinden, was bei deinem Publikum gut ankommt. Und: Du kannst jeden Monat einen neuen Song für die Playlists einreichen. Eine Alternativ-Strategie wäre, alle zwei Wochen eine Single herauszubringen.
„Seien wir mal ehrlich, heutzutage werden nur noch die allergrößten Musikliebhaber ein ganzes Album anhören, ohne Tracks zu skippen“, sagt Luis Lacambra Guelbenzu, Manager für Spanien und Lateinamerika, „und selbst die brauchen etwas, das ihre Aufmerksamkeit anzieht. Wenn du deine Fanbase aufbaust, ist es am besten, häufig etwas zu veröffentlichen, damit du regelmäßig auf dem Radar auftauchst und sichtbar bleibst. Wenn du so weit bist, ein Album zu veröffentlichen, werden deine Follower vermutlich schon sehnsüchtig darauf warten. Und vielleicht kaufen sie dann auch eher deine CD oder deine Platte, falls du physische Tonträger veröffentlichen willst.“
Album Enhancer
Für viele Musiker ist ein Album noch immer ein Gesamtkunstwerk – doch für dessen erfolgreiche Publikation gibt es Strategien, die auch mit dem neuen Modell funktionieren. Eine davon ist, in den Monaten vor dem Erscheinen des Albums mehrere Singles und EPs zu veröffentlichen. Manche Musiker beginnen schon beinahe ein Jahr vorher einen gewissen Buzz zu kreieren und nutzen jeden Single-Release als Chance für PR und Playlist-Platzierungen.
„Man sollte die Mächtigkeit der klassischen Album-Strategie nicht unterschätzen. Sie hat jahrzehntelang funktioniert und tut es noch heute – aus gutem Grund“, behauptet Cora Rodrigues, Manager für UK, Skandinavien und Brasilien. „Indem du über ein paar Monate hinweg schrittweise mehrere Singles veröffentlichst, weckst du nicht nur Erwartungen, du baust ein Momentum auf und steigerst bei den Fans die Spannung bis zum Veröffentlichungstag des Albums.“
„Für jede neue Single solltest du eine Strategie für PR, Promo und Pitching entwickeln, die sukzessive dem Album zuarbeitet“, fügt sie hinzu. „Tatsächlich haben wir etliche Künstler an Bord, die über einen Zeitraum von sechs Monaten bis zu drei Singles rausbringen, um einen Vorgeschmack auf das Album zu geben. Das gibt dir die Möglichkeit, auf dem Schirm der Hörerschaft zu bleiben und es ist ein wertvolles Mittel, um Interesse auf deine anstehenden Liveshows zu lenken.“
Für Labels
Für Labels, die mehrere Künstler betreuen, müssen die Strategien präzise auf die Anforderungen der einzelnen Acts abgestimmt werden.
„Als Labelmanager arbeitest du mit Künstlern unterschiedlichster Art zusammen. Jeder Solokünstler und jede Band benötigt da ihre eigene Strategie“, erklärt Jordan Calvi, Gründer von Krod Records und zuständig für Frankreich, Malaysia, Indien und Nordafrika. „Um herauszufinden, was sich für welchen Künstler als beste Strategie erweist, musst du ein wenig experimentieren – aber keine falsche Scheu! Tatsächlich ist der beste Rat, den ich geben kann, eine Strategie zu testen, zu sehen, ob sie funktioniert oder nicht, sie anzupassen, und es dann bald nochmals zu probieren.“ Jordans wichtigster Tipp: „Veröffentliche nicht drei Singles von unterschiedlichen Künstlern am selben Tag auf deinem Label.“
Natürlich sind die hier dargestellten Strategien nur ein paar von vielen Möglichkeiten, um einen Plan für deine Veröffentlichung zu erstellen. Das Wichtigste ist, für dich selbst zu erproben, was am besten für dich und dein Publikum funktioniert.
Nun, da du ein wenig Bescheid weißt, wie die neuen Hörgewohnheiten die gängigen Mechanismen der Musikindustrie beeinflussen, kannst du leichter einen Ansatz finden, der für dich funktioniert. Vielleicht dauert es ein bisschen, aber gib die Hoffnung nicht auf. Wie Jordan sagte: Probiere ein bisschen herum, klopf den Staub ab, und versuch es noch einmal.
Wenn du zu den genannten Strategien oder zum Thema Musikvertrieb allgemein noch Fragen hast, kannst du jederzeit gerne Kontakt zu unseren Artist and Label Relations Managern aufnehmen.